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Anthroposophie und Welt-Entwicklung

Was sich als geistige Impulse über die Erde hin zeigt, kann in einer Art geistiger Geographie geschildert werden. Dazu gehört, dass aus dem Osten etwas Seelen- und Geistvolles kommt, was als traumhafte Bilder- und Gedankenwelt von dem Westen beurteilt wird. Dem Westen liegt es in scharfen Konturen zu denken, die sich anlehnen an äußerlich erfasste Wahrheiten und Begriffe zu bilden, die der Sachlage entsprechen. In den alten Dichtungen, wie zum Beispiel den Veden, zeigt sich ein ganz anderes, was aber auch in Begriffe mündet, die aber nicht so durch Analyse und Vergleich der äußeren Tatsachen zu verstehen sind.  Dieses Geistesleben wird vom Westen mehr als ein traumhaftes beurteilt. Trotzdem bildet es eine Philosophie des Ostens aus. (Worin besteht die Philosophie des Ostens?). 

Die Gedankenbildungen des Ostens scheinen sich in der Kunst der verschlungenen Ornamente und Verästelungen der Vegetation zu spiegeln. Es sind Bilder und Begriffe, in denen die Liebe wirkt. 

Das Verhältnis des Westens zu seinem Beobachtungsraum, zur Natur, besteht aber darin, dass er nach Bewegung, Maß und Gewicht prüft. Er analysiert, zerschneidet, und mikroskopiert das, was er untersucht und dem er sich hingibt. Was wir da unter dem Mikroskop sehen, was wir in unseren Laboratorien analysieren, wie weit ist das weg von dem, was wir in der Naturbeobachtung lieben als Licht, als Wolken, als Wasser, als Wald und Wiese.
Das sind Stimmungsunterschiede in der Welt- und Lebens-Auffassung in Ost und West.

Zitat: „Es handelt sich um Stimmungsunterschiede im Osten und im Westen und in der Mitte.“ Wie nehmen sich die Menschen und ihre Umgebung wahr, was für eine Selbstempfindung haben sie? Welches Selbstverständnis als Mensch gegenüber der Natur und der mit Welt?

Der Orientale erlebt sein Geistesleben in sich als eine Realität. Es lebt in der Seele als selbstverständliche Wirklichkeit. Die Natur hingegen erscheint ihm wie ein Echo. Die Natur ist für ihn Schein oder Maja. Das bedeutet nicht, dass er sich nicht für die Natur interessiert. Aber er interessiert sich für sie als ein Abbild des geistigen ewigen Urwesens, genauso wie er sich selber als ein Abbild des geistigen ewigen Wesens ansieht.

Für den westlichen Menschen ist das Seelenleben bloß eine Summe von Bildern, die Reste unserer Erlebnisse, die durch Wahrnehmungen zustande gekommen sind. Diese Bilder sind ein Abbild der Wahrnehmungen, die wir selbst als die Realitäten erleben.

Es könnte durch das übersinnliche Bewusstsein auch das umgekehrte eintreten. Nämlich wenn in einem reinen geistigen Zustand des Vorgeburtlichen die Realität der schöpferischen Kräfte unseres physischen Leibes erlebt wird, dann ist der physische Leib ein Abbild dieser Urbilder. In diesem Moment hört der Stoff, die Materie auf, die einzig reale Bedeutung zu haben.
Wir können ganz im Einklang mit der materiellen Wissenschaft uns verstehen, wenn wir diese als ein Bild der übersinnlichen Organisation erschauen.

 

Mit der Frage in Bezug auf die wirkenden Kräfte in der Geschichte kann man mit westlicher Anschauung folgendes sagen: in politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist nur das wirksam, was Macht entfaltet, in Wirtschaftskämpfen und in Klassenkämpfen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist alles theoretische Ideologie. Alles, was wir geistiges Leben nennen, ist Luxus, Schein oder noch schlimmer Ideologie, wenn es idealisiert wird. Das Streben nach Höherem wird so zur Maja verkannt.

Von einem gewissen Gesichtspunkt aus hat man ja recht, wenn man das Geistesleben als Ideologie bezeichnet, weil es abstrakt geworden ist. Gerade das abstrakte, nur abbildhafte Denken ermöglicht uns aber seine Freiheit, weil es uns nicht zwingt. Anders ist es aber, wenn wir moralische Impulse erleben und diese im Denken formulieren.

Zwei entgegengesetzte Weltbilder, entgegengesetzte Thesen:
Die Geist-Welt ist Wirklichkeit und die Sinneswelt ist Maja;
die Sinneswelt ist Wirklichkeit und die Geist-Welt ist Maja.

Die Mitte würde die Ideologie überwinden und die geschaute Geistwelt in Intuition, Imagination, und Inspiration differenzieren. 

Man kann die Geschichte beschreiben als ein Wirken von Kräften von wirtschaftlichen Verhältnissen, Kämpfen und Eroberungen und Machtinstinkte. Man könnte die Geschichte auch beschreiben als Ausdruck des Denkens und Fühlens. Dann beschreibt man sie als Religionskriege oder Einflussbereiche der Kunst und Akademien.

Im Westen wird der Mensch geschildert, wie er isst und trinkt, in der mittleren Welt (Europa) wie er denkt und fühlt, und in der östlichen Welt wie er predigt und opfert.

(Kann man als Beispiel für die Wirkung des geistigen Einflussbereichs für den östlichen Menschen hinschauen auf den Zusammenhang der russisch-orthodoxen Kirche mit der Politik, oder der islamischen Geistlichkeit, wie sie bestimmend ist bis in den religiösen Staat hinein.)

Es müssen sich verständigen diese Polaritäten von Osten und Westen. Kann es sein, dass der Osten die Beweggründe der westlichen Wirtschaftskraft nicht versteht? Kann es sein, dass der Westen die Beweggründe der östlichen Ideologie nicht versteht?
Es kann nicht darum gehen, dass das eine richtig und das andere falsch ist.


Ein Beispiel für die östliche Geisteshaltung wird gezeigt in dem Wesen des Buddha, der auf das Leben so schaut, dass er sagt „Leben ist Leid“.
In der christlichen Religion schauen wir aber gerade auf den Leichnam am Kreuz mit der Gewissheit und Sehnsucht der Auferstehung des Geistes durch die Überwindung des Todes. Die Anschauung des Abendlandes ist nicht das Leben als Leid anzusehen, sondern das Leben muss in sich Kraft entwickeln, damit auch die Kräfte des Todes überwunden werden können. 

Man kann die orientalischen Weltanschauungen und Weisheitsgüter als alt, ja als greisenhaft ansehen. Alt und ehrwürdig. Dagegen ist die westliche Anschauung und Entwicklung jugendlich, mit all ihren Auswüchsen der Jugend.